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Die Euroleague Saison der Bayern: Geschichte auf Umwegen

von: David Gibson

Am Abend des 1. April war es offiziell: Der FC Bayern konnte durch den deutlichen 82:57 Heimsieg gegen Roter Stern Belgrad nicht mehr von einem Playoff-Platz in der Euroleague verdrängt werden. Nachdem man sich im Jahr zuvor als erste deutsche Mannschaft überhaupt für die Teilnahme in den Playoffs qualifizieren konnte, war jener 1. April das nächste historische Ereignis. Man konnte einen der acht hart umkämpften Playoff-Plätze verteidigen. Ein Statement an den gesamten Kontinent: Letzte Saison war kein One-Hit-Wonder. Die hohen Ambitionen der Münchner sind mehr als nur süße Träume. Man will spätestens zur Fertigstellung der neuen Arena „SAP Garden“ in der Saison 2023/24 zur europäischen Elite gehören. Die diesjährige Playoff-Teilnahme war also der nächste Schritt in diesem Entwicklungsprozess.

Wer die diesjährige Euroleague Saison der Bayern auch nur teilweise verfolgt hat wird bemerkt haben: Die obige Einordnung der Ereignisse ist zwar faktisch korrekt, wird aber keineswegs der komplizierten Realität der Saison 21/22 gerecht. Sie war gespickt mit Erfolgen und Enttäuschungen, Pech und Glück, Hindernissen und Chancen: Um die diesjährige Playoff-Qualifikation des FC Bayern Basketball verstehen und einordnen zu können bedarf es also einer genaueren Analyse.

Das Fundament – Durchdachte Kaderplanung

Die vergangene Saison des FC Bayern war ein riesiger Erfolg. Nicht nur konnte man sich als erste deutsche Mannschaft für die Playoffs qualifizieren. Man war zudem nur einen Ballbesitz entfernt Armani Mailand auswärts in Spiel 5 zu schlagen und sich so für das Final 4 zu qualifizieren. Wenn man die Saison 20/21 analysiert, muss man feststellen, dass die Münchner klassische „Overachiever“ waren. Man hatte weder die sportlichen noch die finanziellen Strukturen eines Final 4 Anwärters. Dennoch konnte durch präzise Kaderzusammenstellung, großen Hunger, Teamspirit, und eine klar definierte Spielidee des Trainers Andrea Trinchieri Voraussetzungen geschaffen werden, die die Mannschaft über sich hinauswachsen ließen.

Umso schwieriger gestaltete sich die darauffolgende Offseason. Wie kann man sich trotz des extremen sportlichen Erfolges der Vorsaison als Klub weiterentwickeln? Wie kann man sich trotz der aufgrund der Pandemie angespannten finanziellen Situation sportlich verstärken? Außerdem hat der sportliche Erfolg das Interesse finanzstarker Klubs aus ganz Europa geweckt. Unter anderem verließen Schlüsselspieler wie Wade Baldwin (Baskonia Gasteiz), Jalen Reynolds (Maccabi Tel Aviv), DJ Seeley (Budocnost Podgorica) und James Gist (ASVEL Villeurbanne) den FC Bayern.

Die Herausforderung einen erneut schlagkräftigen Kader zusammenzustellen meisterte man bravourös. Die Lücke im Backcourt, die durch die Abgänge von Baldwin und Seeley gerissen wurde, konnte durch Corey Walden, Darrun Hilliard und Ognjen Jaramaz prominent neubesetzt und stark verbessert werden. Die Verpflichtung von Deshaun Thomas gab dem Kader dringend benötigte Tiefe und Flexibilität auf den Forward Positionen. Augustine Rubit brachte Scoring in den Frontcourt, welches durch den Abgang von Reynolds verloren ging. Mit Othello Hunter konnte ein großes Upgrade in Sachen Defense auf der Center Position gewonnen werden. Gleichzeitig bringt er die Erfahrung und Leadership Qualitäten, welche durch den Abgang von Gist verloren gingen. Zudem hielten mit Coach Trinchieri, Vladimir Lucic, Nick Weiler-Babb, Zan Mark Sisko, Paul Zipser und Leon Radosevic viele Schlüsselfiguren der Vorsaison den Bayern die Treue. Den Verantwortlichen gelang es also das Niveau des erfolgreichsten Kaders der Vereinsgeschichte nicht nur zu halten, sondern sogar signifikant zu verstärken. Das Fundament für eine erneute Playoff-Teilnahme war geschaffen.

FC Bayern Basketball
Foto: FC Bayern Basketball

Enttäuschung – Auswärtsschwäche und Nachläsigkeiten

Der Saisonstart der Münchner verlief sehr enttäuschend. Die ersten vier Saisonspiele gingen allesamt verloren. Dabei muss erwähnt werden, dass das Auftaktprogramm mit drei Auswärtsspielen (Tel Aviv, Kazan, St. Petersburg) und einem Heimspiel (Barcelona) alles andere als einfach war. Trotzdem kann sich ein Playoff-Anwärter solche Negativserien eigentlich nicht erlauben. So mangelte es beispielsweise an Selbstbewusstsein, Physis, Energie und Konzentration über die gesamten 40 Minuten während des Auswärtsspieles in Kazan. All diese Mängel zogen sich hartnäckig durch die gesamte Saison der Bayern, insbesondere bei Auswärtspartien. Es kam häufig zu großen Schwächephasen und Einbrüchen, die in vermeidbaren Niederlagen resultierten.

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Dabei muss man verstehen, dass das Gewinnen von Auswärtsspielen in der Euroleague enorm schwierig ist. Die Atmosphäre in vielen Arenen kann überwältigend sein. Dazu kommt das sehr hohe basketballerische Niveau der Gegner. Jede Schwächephase wird bestraft und das Momentum droht ständig zu kippen. Um konstant in solchen Umgebungen Leistung abzurufen, muss eine Mannschaft mental und strukturell enorm gefestigt sein. Das ist ein Prozess, den Vereine meist über Jahre durchlaufen müssen. Die Liste der Euroleague Teams, die auswärts konstant und oft dominant auftreten ist kurz und elitär: FC Barcelona, Real Madrid, Armani Mailand, Anadolu Efes Istanbul, CSKA Moskau. Allesamt Vereine, die jedes Jahr den Anspruch Final 4 haben. Allesamt Vereine, die dem FC Bayern in der Entwicklung noch mindestens einen Schritt voraus sind.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Münchner auch in dieser Saison oft auswärts zu kämpfen hatten. Eine Erwartungshaltung von Konstanz und Dominanz in Auswärtsspielen an diese Mannschaft wäre also zu diesem Zeitpunkt verfrüht und deutlich vermessen. Trotzdem gab es bei einigen Auswärtspartien Grund zur Kritik und Enttäuschung. Der selbsterklärte Anspruch der Bayern ist es aktuell, in jedem Euroleague Spiel kompetitiv zu sein. Leider ist es den Bayern aber einige Male nicht gelungen dieses Vorhaben umzusetzen. Selten war das im gesamten Spielverlauf der Fall (@ Monaco, @ Piräus); häufiger war es phasenweise der Fall (@ St. Petersburg, @ Roter Stern, vs. Baskonia, @ Fenerbahce). In diesen Spielen beraubte man sich durch fehlende Physis, Konzentration und Energie entweder eines Sieges oder sogar einer Siegchance. All diese Elemente sind aber für ein Team mit Playoff-Anspruch wie Bayern unverhandelbar. Hier ist die Mannschaft im Vergleich zur Vorsaison etwas stagniert.

Erfolg – Heimstärke und Kultur

Selbstverständlich verlief die Saison nicht nur enttäuschend. Nicht umsonst waren die Bayern am Ende der regulären Saison unter den besten acht Teams des Kontinents. Nach dem erwähnten schlechten Saisonstart (0:4), konnten die Münchner 7 der nächsten zehn Spiele für sich entscheiden. Darunter beindruckende Heimsiege gegen Armani Mailand und den Titelverteidiger Anadolu Efes Istanbul. Was in diesen Wochen auffiel, war die Ruhe, Souveränität und Professionalität, mit der die Bayern auftraten. Niemand verfiel nach dem schlechten Start in Panik. Stattdessen war ein stilles Selbstbewusstsein, kombiniert mit einem Bewusstsein für den Ernst der Lage zu verspüren. Eine Stimmung, die sich im Englischen so wundervoll kompakt mit dem Begriff „sense of urgency“ zusammenfassen lässt. Man hatte das Gefühl, dass die Erfolge der Vorsaison dem Verein den Glauben gegeben haben, auch schwierige Phasen gemeinsam als Team meistern zu können.

Die Heimbilanz war auch in dieser Saison mit 9 Siegen bei 5 Niederlagen wieder positiv. Die Heimstärke war also einer der Hauptfaktoren, der die Playoff-Teilnahme ermöglichte. Die starke Heimbilanz war aber keineswegs selbstverständlich. Während fast alle Konkurrenten ihre Heimspiele in vollen Arenen bestreiten durften, mussten die Münchner, aufgrund der strengeren Corona Beschränkungen in Deutschland, teilweise sogar vor komplett leeren Rängen spielen. Dieser Wettbewerbsnachteil konnte wieder einmal nur über herausragende Energieleistungen der Spieler und den großen Teamspirit in der gesamten Mannschaft überwunden werden.

Zum Abschluss der regulären Saison gab es dann noch einen beeindruckenden Auswärtssieg bei Real Madrid, nachdem die Bayern Mitte des dritten Viertels noch mit 20 Punkten zurücklagen. Dabei konnte nicht nur zum ersten Mal überhaupt in Madrid gewonnen werden, was ein wichtiger Meilenstein für den Verein ist. Zudem unterstrich die Mannschaft in diesem Spiel erneut die eigene Identität: In der Vorsaison hatte sich Bayern den Ruf erarbeitet, eine Mannschaft zu sein, die niemals aufgibt und die selbst an großen Rückständen nicht zerbricht. Ein solcher Ruf ist von unschätzbarem Wert, da es dem gesamten Klub eine Identität und eine Art DNA gibt, an der sich zukünftige Bayern Mannschaften orientieren und messen lassen können. Daher war es essenziell, in dieser Saison unter Beweis zu stellen, dass diese Eigenschaften Teil des Klubs sind und nicht nur eine „Eintagsfliege“ der Vorsaison. Das ist der Mannschaft eindrucksvoll gelungen.

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Pech – Corona und Verletzungen

Der bereits erwähnte Wettbewerbsnachteil durch Geisterspiele war nicht der einzige unglückliche Umstand mit dem die Münchner umgehen mussten. Während man in der Vorsaison weitestgehend von Corona verschont blieb, kam es in dieser Saison zu mehreren Großausbrüchen, von denen sowohl Trainerteam als auch Mannschaft betroffen waren. Die Konsequenz waren Rumpfkader und Spielverlegungen, die den ohnehin brutalen Spielplan noch gnadenloser machten. Zan Mark Sisko hatte lange mit den Folgen seiner Corona Infektion zu kämpfen und fehlte deshalb einige Wochen. Corey Walden infizierte sich ein paar Wochen später und konnte seitdem, ebenfalls aufgrund von Nachfolgen seiner Corona Erkrankung, kein einziges Spiel bestreiten. Dazu kamen große Verletzungssorgen. Vladimir Lucic, in der Vorsaison Teil des All-Euroleague Teams, verpasste die ersten Saisonwochen. Darrun Hilliard verletzte sich bald darauf am Knie und fiel drei Monate aus. Paul Zipser durchlief die lange und steinige Reha nach seiner Hirnblutung zum Ende der Vorsaison. Er konnte erst zum Saisonende ins Geschehen eingreifen. Leon Radosevic war ebenfalls zu Saisonbeginn verletzt und verpasste die ersten Wochen. Nick Weiler-Babb, der für lange Zeit einen herausragenden Job als Aushilfskraft auf der Point Guard Position machte, zog sich gegen Ende der regulären Saison eine schwere Gehirnerschütterung zu und fällt seitdem aus. Auch Ognjen Jaramaz und Nihad Djedovic blieben nicht von Verletzungen verschont. Die Liste der Ausfälle war endlos und konstant über den gesamten Saisonverlauf präsent. Deshalb stand Coach Trinchieri bis heute nie der gesamte Kader zur Verfügung.

Bayern profitiert von EuroLeague Sanktionen

Selbstverständlich verbietet es sich die Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine als „glückliche“ Umstände zu beschreiben. Dennoch darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Konsequenzen des Krieges für die Euroleague den Bayern, rein sportlich betrachtet, in die Karten spielte. Der Ausschluss der drei russischen Teilnehmer CSKA Moskau, UNICS Kazan und Zenit St. Petersburg sorgte auch für eine Annullierung jeglicher bereits bestrittener Spiele mit russischer Beteiligung. Zum Zeitpunkt des Ausschlusses befanden sich alle russischen Teams auf einem der 8 verfügbaren Playoff Plätze, während sich Bayern auf dem 11. Platz befand. Plötzlich waren also drei Playoff Plätze verfügbar. Außerdem hatten die Münchner alle drei bis dahin bestrittenen Spiele gegen russische Teams verloren, welche im Nachhinein annulliert wurden. Ohne die Sanktionen gegen die russischen Teilnehmer wäre eine Qualifikation für die Playoffs also schwierig geworden. Dennoch soll nicht der Eindruck entstehen, dass die Playoff-Teilnahme den Bayern „geschenkt“ wurde. Diese war nur durch aufopferungsvollen Kampf möglich, besonders im Hinblick auf die vielen Corona- und Verletzungssorgen.

Chance

Foto: Eurohoops.net

Am Ende qualifizierte man sich als 8. Platz für die Playoffs. Jetzt steht also eine Best-of-5 Serie gegen den großen FC Barcelona an. Diese Serie ist nicht nur ein sportlicher Erfolg, den sich die Mannschaft verdient hat. Sie stellt auch eine große Chance dar. Die Corona-Welle ist überstanden. Hilliard und Zipser sind wieder fit. Spieler wie Jaramaz, Sisko, Thomas und Rubit sind aktuell in Bestform. Die einzigen Ausfälle sind momentan Walden und Weiler- Babb. Es besteht eine realistische Chance, dass beide rechtzeitig für die Playoffs fit werden.

 

Falls das passiert, stünde Trinchieri in den Playoffs zum ersten Mal der gesamte Kader zur Verfügung. Ein Kader, der auf dem Papier noch stärker ist als der aus der Vorsaison. Bayern München steht nun also, eventuell in Bestbesetzung, vor einer Serie gegen das vermutlich beste Team Europas. Eine große Chance, um zu zeigen was tatsächlich in dieser Mannschaft steckt. Eine große Chance, um ein weiteres Mal Geschichte zu schreiben.

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